Retail Innovation Check USA

Auf Innovations-“Trüffelsuche” machte unser Vorstand Jürgen Berens von Rautenfeld Storechecks in New York City, um neue hybride Retail-Formate & spannende Food-Konzepte kennenzulernen und besuchte das Silicon Valley, um mit Vordenkern, u. a. von Google und Salesforce, zu diskutieren, was die Zukunft des Handels bestimmen wird – Chatbots und Sprachsteuerung lagen hier ganz vorn. Die vom EHI inspirierte Studienreise war durchaus anstrengend aber vor allem sehr beeindruckend. Die Tour veranschaulichte die zunehmende Verschmelzung von On- und Offline und von den Bereichen IT, Marketing und Ladenbau.

Im Silicon Valley

Wer noch nicht im berühmten Silicon Valley Halt gemacht hat, wird sicher gebührend beeindruckt sein. Hier liegen Innovationen in der Luft. Drei Tage straffes Programm waren sicher zu wenig aber für einen ersten Eindruck, wie wichtig Shopper-Daten als Grundlage für zahlreiche Geschäftsmodelle von Startups bereits sind und zukünftig in noch stärkerem Maße werden, hat es ausgereicht. Das trifft im Retail-Bereich besonders die Weiterentwicklung von datengetriebenen Omnichannel-Modellen. Wobei das amerikanische Datenschutzrecht (Opt-Out im Gegensatz zu dem deutschen Opt-In) hierfür aber auch deutlich besser geeignet ist.

Ein Besuch beim weltweit größten Innovationsgeber Google ist im Silicon Valley obligatorisch. Der Campus des Internet-Riesen Google ist sehr offen gehalten, die Büros und Konferenzräume sowie die Arbeitsumgebung sind einfach großartig, man bekommt allein durch die Größe des Campus ein gutes Gefühl dafür, wie viel bei Google eigentlich passiert. Wir hatten das Glück in einem Termin mit zentralen Produktentwicklern und Melanie Ditschke, Industry Manager Retail bei Google, aus erster Hand Ideen von Google über die Zukunft des Handels zu diskutieren. Naheliegend ist dabei das primäre Interesse von Google an die ERP-Daten der großen Retailer heranzukommen, um die Produktsuche bis ans Regal zu verlängern. Stichwort: Instore Navigation. Dabei geht es natürlich auch um das erfolgreiche Google-Geschäftsmodell „Bezahlte Werbung“, die bei „Conversion“, also dem eigentlichen Kauf eines Produktes nach Suche, sicher mehr Wert ist.

Ein Besuch des weltweit größten Startups Accelerator Plug and Play schloss den ersten Tag ab. Plug and Play bringt die Ideen junger Geschäftsmodelle zur Marktreife und vernetzt Startups mit Unternehmen. Dropbox und PayPal sind dort entstanden. Aus den jährlich tausend, überwiegend Software geprägten Startups, überleben letztendlich weniger als zwanzig, wie z. B. Danger oder ScanScout. Wie klein die Softwarefamilie ist zeigt die kleine Anekdote über Plug and Play Gründer und Inhaber Saeed Amidi, der in den ersten Jahren von Google dem heutigen Internetriesen seine Garage vermietet hatte.

Bei Salesforce, dem internationalen Anbieter von Cloud-Computing-CRM-Lösungen, erhielten wir einen Einblick, wie das erfolgreiche börsennotierte Unternehmen sich die Handelszukunft vorstellt. Salesforce gehört mit seinen inzwischen 19 Jahren Firmengeschichte eigentlich zum alten Eisen und ist inzwischen ein wichtiger Venture Capital Geber für Startups. Insbesondere die Geschwindigkeit, in dem Salesforce mit ihrem Geschäftsmodell wächst, ist beeindruckend. Innerhalb eines Jahres ist die Salesforce-Mannschaft von 30.000 auf aktuell 36.000 Mitarbeiter angewachsen.

Manhatten – New York

Die kleine Reise durch die USA-Handelslandschaft zeigte anschaulich in welcher Dynamik und Exzellenz der Handel in Amerika agiert. In New York kamen wir am World Trade Center nicht vorbei, besonders beeindruckend hier u. a. der Transportation Hub, der Verkehrsknotenpunkt des One World Trade Centers mit seiner unverkennbaren weißen Konstruktion namens Oculus, gestaltet vom spanischen Architekten Santiago Calatrava und einer sehr präsenten, langen digitalen Werbefläche.

Nur wenige hundert Meter entfernt, im Shoppingcenter Westfield World Trade Center, befindet sich u. a. die neue, zweite New Yorker Filiale von Eataly. Eataly, als einer der größten Vertreiber von italienischen Konsumgütern weltweit, inszeniert auf insgesamt 3.700 qm Dolce Vita in der Erlebnis-Symbiose von Shopping und Direktverzehr. Neben fünf verschiedenen Restaurants, teilweise mit Blick auf das One World Trade Center liegt der Schwerpunkt auf Gourmet, Frische, Exotik und italienischen Spezialitäten. Abgerundet wird das Erlebnis durch eine integrierte Kochschule.

Ein ganz klares Highlight mit Blick auf Handelsinnovationen war der Besuch des neuen Nike Flagshipstores, 529 Broadway. Der Multi-Sport-Store erstreckt sich auf 5.000 qm Verkaufsfläche über 5 Ebenen. Hier wurde die Verbindung zwischen den digitalen Services von Nike und dem stationären Handel perfekt umgesetzt. Digitale Angebote treffen in dem Laden auf Erlebnis-Shopping: So können z. B. in verschiedenen „Trial Spaces“ Sportarten und Produkte ausprobiert werden und wer möchte, kann sich seinen eigenen Schuh oder eine Tasche gestalten.

Im Südwesten Manhattans gelegen befindet sich das Künstlerviertel und Shopping Paradies SoHo. Der Name ist von South of Houston Street abgeleitet und zugleich eine Anspielung auf das Londoner Szeneviertel Soho. An jeder Straßenecke drängt sich Geschäft an Geschäft – ein angenehmer Mix aus großen bekannten Geschäften und kleineren Labels. Wir nahmen u. a. die Gourmet Garage, einen klassischen Lebensmittel-Nachbarschaftsmarkt, der zunächst als Importeur für hochwertige Feinkostprodukte tätig war, unter die Innovationslupe. Außerdem das erlebnisorientiertes Ladenkonzept der brasilianischen Schuhmarke Mellissa, die Galeria Melissa, die Boutique und Kunstgallerie miteinander verbindet. Das Artists & Fleas, einen dynamischem „Marktplatz“ mit stetig wechselnden Anbietern, einer Mischung aus Kunst und Flohmarkt.

Spannend war auch das Rebecca Minkoff, der Laden des Premium Fashion Brand gilt als einer der Pioniere bei der Verknüpfung von Online- und stationärem Geschäft, z. B. mit interaktiver Shopping Wall „Connected Glass“ als Spiegelwand. Der im November 2017 eröffnete Store The Webster des Multibrand-Luxus-Händlers, zeigt auf rund 1.000 qm verteilt auf 2 Ebenen, Werke des italienischen Künstlers Gaetano Pesce, Stoffe von Pierre Frey und Tische von Nada Debs, sowie Lampen und Tapeten, die an die 20er/30er Jahre erinnern. Im Chrome Industries, kann man sich innerhalb von 3 Stunden persönlich gestaltete Taschen herstellen, die Anfertigung erfolgt direkt im Laden.

Wirklich beeindruckend war der Termin mit Jesse Johnson, dem Store Manager des weltweit ersten Sonus-Stores. Der kreative Concept-Store des US Lautsprecherherstellers ist sehr erlebnisorientiert und von lokalen Künstlern gestaltet. Der Store STORY, setzt das Showroom-Konzept konsequent um und wechselt auf 180 qm Verkaufsfläche nicht nur regelmäßig die Anbieter, sondern auch alle 4-8 Wochen das komplette Interieur und die Warenpräsentation, jeweils passend zu einem neuen Thema.

Das nach einem Stadium-Konzept gestaltete Adidas Brand Flagship, entführt den Besucher in eine lebendige Sportwelt. Bereits am Eingang werden die Kunden über einen dramatischen Stadion-Tunnel in den Laden geleitet. Hier lädt eine übergroße Broncefigur von Firmengründer Adi Dassler zum socialmediarelevanen Selfi ein. Den Kunden erwarten im Store u. a. eine Fitnessberatung, Concierge-Desk und Hotel-Lieferservice sowie personalisierte Shopping-Angebote wie das Laufanalyse-System „Run Genie“. So viel sportorientierte Dienstleistungen überzeugen nachhaltig.

Und natürlich bin ich auch nicht um den Amazon Bookstore herum gekommen – wenn man schon mal vor Ort ist. Die Eröffnung jährt sich im Juni zum ersten Mal und das Konzept ist inzwischen Vorbild für viele andere Unternehmen. Die über 3.000 Buchtitel stehen mit dem Cover sichtbar im Regal, deren Regalschilder (Papier!) keine Preise sondern die Amazon-Kundenbewertung mit Anzahl Sternen und Reviews zeigen. Im Store gelten für alle Produkte stets die aktuellen Webseiten Preise Amazons, die ständig schwanken. Ein Schwerpunkt in der Store-Kommunikation bilden aktuell Sprachassistenzsysteme auf Basis von Amazon Alexa, u. a. von Bose und Sonos.

Im Foodbereich hat New York einiges zu bieten. Das Trader Joe’s in Brooklyn ist mit über 450 Filialen US-weit vertreten. Die gesamte Marktfläche wurde recht preiswert realisiert, allerdings müssen die Kunden auf nichts Elementares verzichten, denn die gesamte Ladengestaltung und Plakatierung ist in freundlichen, hellen, modernen Farben ausgeführt. Der 1979 von Aldi Nord übernommene Discounter punktet bei den Amerikanern mit Südstaatenflair, Bio-Produkten und auffallend freundlichen Mitarbeitern. Auch Trader Joe’s setzt auf günstige Preise und Eigenmarken.

Hochwertiger und erlebnisorientierter tritt hier der Whole Foods Market in Brooklyn auf. Die im letzten Jahr von Amazon gekaufte Bio-Supermarkt-Kette imponiert durch gepflegte und gut gefüllte Regale (kaum out of Stock), einem überwiegend regionalen Sortiment und breiten Laufwegen. Besonders auffallend war die ausgesprochen liebevolle Warenpräsentation und die herausragende emotionale Kundenansprache, u. a. über eine eigene Kaffeerösterei. Interessant: Ein signifikanter Umsatz wird bei Whole Foods über Personal Shopper im Auftrag von wohlsituierten Kunden generiert. Wir selbst haben bei unserem Storecheck mindestens zehn Personal Shopper entdeckt, die gerade Artikel scannten bzw. Einkaufslisten abhakten. Auf dem Marktdach befindet sich ein 1.800 qm großes Gewächshaus des Urban Farming Startups Gotham Greens, in dem im ökologischen Eigenanbau ausgewählte Kräuter angebaut werden. Aktuell war es überwiegend Basilikum, welches als junge Pflanze oder in Form von Pesto direkt im Whole Foods Store verkauft wird. Außerdem verfügt der Whole Foods über eine gut frequentierte Rooftop-Bar, in der auch die gerade gekauften Produkte verzehrt werden dürfen. Den Link zum neuen Whole Foods Inhaber Amazon gibt es auf der Fläche noch nicht. Lediglich im Windfang befinden sich gelbe Amazon-Locker, die als Abhol-Depots für klassische Amazon-Onlinebesteller dienen. Wer mehr darüber wissen möchte, dem empfehle ich den Artikel der Plattform ZDH.

Die amerikanische Modekette Urban Outfitters, die auch in Deutschland zuletzt stark expandierte, hat in NY mit 5.000 qm ihren größten Store. Charles Scribona, District Brand Leader und Chris Morris, Store Brand Leader erklärten uns den Mix aus Retail, Gastronomie, Galerien und Treffpunkt mit Friseur, Partner-Shops für Brillen und Platten, Gastronomie und wechselnden Pop-up-Flächen.

Zu guter Letzt warfen wir auch einen Blick in den Victoria’s Secret Store. Der Ladenbau ist in mehreren Szenarien für verschiedene Zielgruppen unterteilt. Hier werden die erotisch-emotionalen Produkte auffällig durch Digital Signage Elemente perfekt in Szene gesetzt, wobei der Shopper gerade im Bereich der Verbindungstreppen fast vollflächig digital geflasht wird. Der Store verfügt zudem in der oberen Etage über ein eigenes Museum, in dem die berühmten Engelkostüme aufgebaut sind und dank abgestimmter Bild- und Ton-Inszenierung eher an eine Vernissage erinnert.

Fazit

Für den Handel der Zukunft wird der Einsatz von leistungsfähiger Software zunehmend zur Basis des eigenen Geschäftsmodells. Gerade die „Faktor X“-Geschwindigkeit, mit der die vielen Startups und etablierten Software-Hersteller im Silicon Valley unterwegs sind, ist atemberaubend und wird zunehmend den Omnichannel-Handel befruchten. Dabei ist ein wesentlicher Treiber das Wissen um die Wünsche des Kunden, dessen digitale Spuren ständig gelesen und vermessen werden. Auch wenn dieses Data-Driven-Retailing durch die neue DSGVO-Datenschutzverordnung in Europa nicht Eins-zu-eins umgesetzt werden kann, ist der Weg, zunehmend Relevanz für den Shopper zu schaffen, eingeschlagen. Gefreut hat mich, dass diese auf den ersten Blick nachteilhaften gesetzlichen Rahmenbedingungen in Europa, keinen negativen Einfluss auf die Standortqualität des stationären Handels haben muss. Gerade hier muss sich der Handel diesseits des Atlantiks nicht verstecken, findet man doch gerade hier zwar nicht die lauten, aber dafür die ausgefeiltesten Storekonzepte, die die Symbiose von analog und digital auf der Fläche sehr gut nutzen, um als nahbar-vertrauensvoll und authentisch wahrgenommen zu werden.

Wer an einer ähnlich inspirierenden Retail-Studienreise interessiert ist, dem kann ich die Innovations-Touren des EHI wärmstens empfehlen. Oder Sie schreiben mir einfach eine kurze Mail an juergen.vonrautenfeld@online-software-ag.de.